Da ist sie. Vierlagig, kamillengetränkt, im wertigen Goldvlies geliefert. Die Letzte ihrer Art. Über eBay-kleinanzeigen, kleiner sechsstelliger Betrag, klar. Aber das ist mir Zartheit, untenrum, einfach wert. Und nun lasst uns allein.
Diese Ampel auf der Greifswalder Straße. Sie steht ungefähr 30 Meter vor der nächsten Ampel auf der Greifswalder Straße. Dazwischen nichts – keine Querstraße, Kreuzung, Ein-oder Ausfahrt – was von dieser ersten Ampel reguliert werden müsste. Verkehrende überfahren kopfschüttelnd ihr Rot, ziehen denen, die an ihr bremsen, ironische Schnütchen, rückgespiegelt.
Das unterscheidet den Menschen einmal vom Tier: Er regelt den eigenen Bewegungsfluss durch Symbole. Der Umgang mit dem Ausreißer, dem einen überzähligen inmitten der unzähligen, gilt ihm als Scheide zwischen freien und unfreien Geistern.
Keiner kommt hier raus, aus der kopfsteinigen Quergasse, wenn er sich nicht scheppermutig mit der Schnauze in den Hauptverkehr schiebt, Zentimeter bange Einsicht gewinnend. Die blickdichte Reihe parkenden Metalls auf dem Seitenstreifen zwingt mich dazu. Du siehst erst, ob da wer kommt, wenn du soweit vorgerollt bist, dass du ihn schon zum Schlenker zwingst. Von links strömen sie, einer hupt. Die Fahrradfahrer sind da deutlicher, sie kämpfen sich eh bergauf und staken grimmig den Dreihandbreit-Zusatz um dich herum. Stich geradeaus durch die halbe Lücke, zum Mittelstreif mit Durchfahrt und Schienen, wieder stehen, jetzt kommen sie von rechts, aber die Sicht ist frei, die Radler wehend im Abwärtstempo. Einfädeln, im Fluss und weg.
Heute nicht. Es ist Sonntagfrüh, kaum wer auf der Straße sonst, für irgendwas ist die Innenstadt ab Alexanderplatz auch gesperrt, hat es irgendwo geheißen. Und sie nutzen Straßenbahnen als Zusatzbarrieren: Auf der Durchfahrt steht sie, mitten auf der Strecke, Haltestellen 100 Meter weg. Türen sind geöffnet, der Fahrer sitzt vorn auf der Treppe seines Ausstiegs. Er schaut in den Himmel, hellblau. Kein Laut, ich hab die Fenster unten. In der zweiten Tür eine schwere Frau, sitzt auch, pumpt Luft, reibt sich die Augen, hinter ihr ein Mensch, Hand auf ihre Schulter. Davor ein Rollstuhlfahrer, steht dort, wo ich sonst immer quere, raucht mit Hingabe. Noch zwei, drei Menschen, stilles Leben, Einhalt.
Jetzt erst, jetzt erst, jetzt erst: sehe ich es, das Auto auf dem Bug, von der Bahn in der Durchfahrt ergriffen, problemlos die Meter zum Straßenschild transportiert und es dorthinein geschoben. Dann müssen die Bremsen gegriffen haben; bestimmt hat es gekreischt, kein Wunder, dass jetzt alle die Stille pflegen. Es ging gut. Nur Blech ist verbogen, Autotüren stehen offen und können nicht mehr geschlossen werden ins krumme Ganze. Airbags füllen Fahrer- und Beifahrerplatz. Einer der Insassen sitzt, Füße nach draußen, auf der Rückbank. Er vertraut dem Auto in der Schwebe; die Nase der Bahn hält es in der Luft. Vor ihm steht eine Frau und streckt sich in die Brise. Ruhe, Erleichterung, die Körper sind ganz geblieben. Niemand muss eilen, niemand in Not. Hilfe kommt, alles wird. Wie klar die Menschen sind, aus dem Fluß genommen.
Da war also der Europäische Liederwettbewerb, das quietschecleane Trullala, diesmal aus Israel, aus Tralien war auch in Europa, you’re welcome. Deutschland hatte auch ein Lied, das wollte die Schweiz nicht haben, die hatten es wohl vorher gehört, aber Second Hand ist ja gut fürs Klima, wir nehmen es. Jetzt musste das Zeugs noch gesungen werden, da stellt die VG Ohrgewürm zwei junge Frauen zusammen, die haben diverse Haare und Ausbildung und voll wenig Zeit, um Schwesterlichkeit zu üben. Aber so eine Ehre, für Deutschland gecastet worden zu sein, mega, Song auch wichtig, was mit Solidarität (nix für Schweizer, wa?), so dankbar, Luftikussiwerfi, mit tollen Menschen zusammenarbeiten und tollen Musikern und toll, sorry Germany, Null Punkte, viel gelernt, viel mitgenommen, Herzifingerformi, ungebrochen gebrauchsfähig, Mund abputzen, maybe next Produktpräsentation.
Am Tag hernach, hier draußen, da läuft schon das nächste Casting als Welt.
P.S. And, of course, sometimes you are the Dingsbums für someone anderen.
Die Melodei meines Lebens erkläre ich mir so, dass ich zwar der Dirigent bin, der Stab aber eine japanische Aubergine ist, die sich von allein bewegt.
Nun weiß ich ja nicht, was mich genau erwartet bei dieser „ganz speziellen Landpartie mit Spargelüberraschung“.
Aber schon wegen der guten Luft: Hurra!